Sonntag, 23. Juni 2013

DIE BLAUMACHER


FADENSCHEINIGE ENTSCHULDIGUNGEN, KONZEPTLOSE SCHULEN:

Je öfter ein Schüler schwänzt, desto schlechter steht es um seinen beruflichen Erfolg

Foto: Cortis&Sonderegger
Schulschwänzen wird von Eltern und Lehrern oft als Kavaliersdelikt abgetan - das sei bedenklich, besagt eine Studie
von Martina Bortolani
Der heisse Nachmittag war einfach zu perfekt, um nach der Mittagspause am See nicht noch ein paar Stunden dranzuhängen. In der Schule standen ja «nur» Turnen und Chemie auf dem Stundenplan, und niemand hatte Lust, bei 32 Grad an der Sprossenwand hochzuklettern oder sich mit Atomen und Molekülen zu befassen. Also blieben die Gymischüler einfach am See und liessen den Unterricht sausen. Voll easy, oder?
Exemplarisch für das Verhalten dieser Gruppe könnte es sich dieser Tage noch anderswo in der Schweiz so zutragen. Gerade jetzt, vor den langen Sommerferien, sind den Lehrern leere Sitzreihen ein bekanntes Bild. Die Ausreden der absenten Schüler sind oft fadenscheinig - aber dank unterschriebenen Entschuldigungen der Eltern sind die Lehrerinnen machtlos, dagegen vorzugehen. Schwänzen wird bis heute oft als Kavaliersdelikt betrachtet.
Jungs schwänzen massiv, Mädchen gezielt
Gemäss der aktuellen Studie «To Cool For School» der Universität Freiburg ist häufiges Schwänzen aber ein Problem, das sich verstärkt hat. Geleitet wurde sie von Margrit Stamm, emeritierte Professorin für Erziehungswissenschaften. Von rund 700 000 Schülern, die in der Schweiz auf Oberstufenniveau zur Schule gehen, schätzt man, dass etwa 35 000 regelmässig schwänzen - das heisst mindestens zwei- bis dreimal pro Monat. Der Fokus der Studie richtet sich einerseits auf die Problemfälle, also auf die «Langzeitschwänzer» mit massiven schulischen Problemen, aber auch auf die «Gelegenheitsschwänzer», die mit ihren Leistungen schulisch mithalten können. Die Wissenschaftler haben - verkürzt gesagt - herausgefunden: Knaben sind öfters massive Schulschwänzer, Mädchen schwänzen dafür häufiger und regelmässiger einzelne Lektionen oder Fächer. Nach Stamms Meinung bemühen sich viele Schulen zu wenig seriös darum, Präsenz einzufordern. Dem Thema Schulabsentismus werde zu wenig Beachtung geschenkt. «Viele Schulen haben gar kein Konzept, wie sie mit Schwänzern umgehen sollen», sagt Margrit Stamm.
Ist das schon ein gesellschaftliches Problem oder einfach viel heisse Luft um ein altes Thema? Haben Schüler nicht schon immer geschwänzt? Interessant an der aktuellen Studie ist, dass sie versucht, einen Zusammenhang zwischen einer möglichen späteren Arbeitslosigkeit und Schulschwänzen aufzuzeigen. Die Untersuchung ist zwar nicht langfristig angelegt, aber zu ähnlichen Resultaten kam man auch in Deutschland: Je öfter ein Schüler schwänzt, desto schlechter steht es um seinen späteren beruflichen Erfolg. Stamm möchte mit ihren Ergebnissen Eltern sensibilisieren, weniger kulant zu sein und genauer hinzuschauen, warum ihre Kinder kneifen. Von den Schulleitungen fordert sie, offensiver den Dialog zu suchen. Nur wenn geredet werde, könne man die Schüler wieder motivieren, im Unterricht zu erscheinen.
Lehrer akzeptieren Absenzen ohne grosse Probleme
Fabian* und Tim* besuchen beide ein Zürcher Gymnasium. Sie bestätigen, dass in ihrer Klasse praktisch alle - «ausser die Vollstreber» - regelmässig blaumachen oder spontan während des Tages entscheiden, einzelne Lektionen ausfallen zu lassen. «Das ist ganz normal», sagt Fabian, «man hat manchmal einfach keinen Bock oder für eine Prüfung zu wenig gelernt.» Seine Eltern, sagt er, stünden oft hinter ihm und unterschrieben ihm die Absenzen jeweils anstandslos. «Aber auch nur, weil ich gut bin in der Schule.» Auch von den Lehrern würden die Absenzen «relativ schmerzfrei» entgegengenommen. Nur wenn man es mit dem Blaumachen übertreibe, müsse man vor den Klassenlehrer. Genau dieses Problem kennen viele Schulen. Gerade an Mittel- oder Berufsschulen mit unterschiedlichen Fachlehrern fallen die Absenzen erst auf, wenn sie dem Klassenlehrer gemeldet werden.
Denn freiwillig, wie einige vielleicht denken, ist der Besuch der Schule nicht. «Wer nicht im Unterricht erscheint, verstösst gegen das Gesetz», sagt Pius Egli, Geschäftsführer des Luzerner Lehrerinnen- und Lehrerverbandes (LLV). Er verweist auf Paragraf 11 des Volksschulbildungsgesetzes des Kantons Luzern. Pius Egli findet, dass Schulabsentismus vor allem an der Oberstufe ein Thema sei. In den unteren Stufen, in der Primarschule zum Beispiel, habe man häufiger das Problem, dass Eltern um die Ferienzeit herum ihre Kinder willkürlich aus dem Unterricht nehmen - trotz Bussen, die sie damit riskieren.
Nicht nur in der Schweiz wird über Schulabsentismus debattiert. In Deutschland sind die «Schulschwänzer» den Politikern ein Dorn im Auge. Die Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen forderte kürzlich ein «Bussgeld für Eltern von Schulschwänzern». Der Deutsche Lehrerverband schätzt, dass 300 000 der knapp 12 Millionen Schüler in Deutschland täglich schwänzen. Von der Leyen sagt: «Wenn wir über Langzeitarbeitslosigkeit reden, ist Schulschwänzen der Anfang.» Die Hälfte der Hartz-IV-Bezüger habe keinen Schulabschluss. Es sei deshalb entscheidend, den Anfängen zu wehren. Im Berliner Kiez Prenzlauerberg gibt es einen SMS-Alarm für die Eltern. Als Vorbild im Kampf gegen Schulschwänzer dient das «Nürnberger Modell», in München folgte die «Schulschwänzer-Initiative». In Hannover fahren Polizisten schon heute gezielt durch die Innenstädte und durchforsten Promenadenzonen oder Game-Hallen nach Schulverweigerern.
Im texanischen Bezirk San Antonio sollen nächstes Jahr über 6000 Schüler von diversen Schulen den obligatorischen Schülerausweis mit einem eingebauten Chip kriegen. So könne man, sagt Pascual Gonzales, Sprecher des Bezirks, Schulschwänzer mittels Monitoring jederzeit aufspüren, Die Datenschützer sind entsetzt.
In Schweizer Schulen wird das Problem einfach ignoriert
Eine Berufsschule in Marseille verspricht den Schülern bei regelmässigen Unterrichtsbesuchen Gratistickets für Fussballspiele. In einem Schulbezirk bei Paris geht man so weit, dass man bei Unterrichtsbeginn die Türen verriegelt - und erst abends wieder aufsperrt. Zu schlecht sind die Erfahrungen, dass die wenigsten bis zum Abend durchhalten. Elternverbände wehren sich und sagen, dass so falsche Anreize geschaffen würden.
Hierzulande greift man nicht mal im Ansatz so rigoros durch, auch wenn die Stimmung auch hier gereizter wird. Eine Lehrerin einer Kaufmännischen Berufsschule, die nicht mit ihrem Namen in der Zeitung erscheinen möchte, sagt, dass «sie eine Einführung von hohen Bussgeldern sehr angebracht» fände. Sie unterrichtet Volkswirtschaftslehre, ein nicht besonders beliebtes Fach, das sie aber nach eigener Einschätzung «spannend und modern» vermittelt. Eine ihrer Lektionen falle auf eine Randstunde, also auf die letzte vor dem Feierabend der Schüler. Sie sagt, dass es die «absolute Ausnahme» sei, wenn die Klasse vollständig sei. «So wird Unterrichten zur undankbaren Angelegenheit», sagt sie. Das Gespräch mit den Schülern oder mit den Eltern zu suchen, sei bei rund 200 Schülern aufwendig. So müsse sie diese Absenzen halt akzeptieren; obwohl sie das nur widerwillig tut. Ihren Frust hat die Lehrerin der Schulleitung kommuniziert. Der Rat des Prorektors habe sie total ernüchtert. Er riet ihr: Konzentrieren Sie sich besser auf die Schüler, die kommen, als auf jene, die fernbleiben!
Publiziert am 23.06.2013

Freitag, 21. Juni 2013

Wie Gemüse noch gesünder wird



Auch Tage nach der Ernte ist Obst und Gemüse noch lebendig. Forschern zufolge reagiert ihr Stoffwechsel dann immer noch auf Tageszeiten bzw. auf Licht. Mit einer optimierten Lagerung könnte man demzufolge auch den Nährwert verbessern.

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Mehr Abwehrstoffe

Pflanzen bestehen aus vielen eigenständigen Teilen wie Blättern, Zweigen, Früchten oder Wurzeln, deren Stoffwechsel auch mehr oder weniger unabhängig existieren kann, zumindest für einen bestimmten Zeitraum. D.h., ihre Zellen bleiben auch nach dem Abschneiden bzw. der Ernte aktiv. Sie sollten also auch weiterhin auf äußere Reize wie Licht reagieren, wie die Forscher vermuteten.

Genau das hat das Team in der Folge untersucht, und zwar am Gemüsekohl - ein Verwandter der Ackerschmalwand, der ebenfalls Senfölglycoside enthält. Diese sekundären Pflanzenstoffe verleihen Gemüse wie Kohl den etwas bitteren Geschmack. Sie stärken nicht nur die Abwehrkraft des Gewächses gegenüber Schädlingen, in der Nahrung genossen sollen sie sogar vor Infektionen oder Krebs schützen.

Die Tests ergaben, dass sich die Produktion der Abwehrstoffe in bereits geernteten Kohl durch den tageslichtähnlichen Wechsel von hellen und dunklen Phasen tatsächlich ankurbeln ließ, sogar bis zu einer Woche lang.

Quelle: http://science.orf.at/stories/1719882/
Scinexx berichtete ebenfalls darüber: http://www.scinexx.de/wissen-aktuell-16304-2013-06-21.html 

Samstag, 15. Juni 2013

Die "Odyssee" - ein realer Mythos




Zehn Jahre hatte die Irrfahrt gedauert, ehe Odysseus zurück zu seiner Penelope fand. Weit weniger lang haben nun Forscher gebraucht, um das Netzwerk aller Personen von Homers Epos zu darzustellen. Ihr Schluss: Die Sozialbeziehungen sind realen sehr ähnlich - und das spricht dafür, dass zumindest Teile der "Odyssee" wirklich stattgefunden haben. [...]

Das Resultat ihrer statistischen Auswertung hat starke Ähnlichkeiten mit echten menschlichen Netzwerken. Odysseus, Telemachos, Penelope und Co leben in einer "Small World", einige von sind besonders stark und gut vernetzt, die Verhältnisse sind hierarchisch. Das spreche dafür, dass zumindest Teile des Epos auf realen Fakten beruhen, schreiben die Forscher. Diese genau rückverfolgen können sie mit ihrer Arbeit natürlich nicht. Handfestere Beweise müssten weiter wohl eher aus der Archäologie kommen.

Quelle: http://science.orf.at/stories/1719601

Heldenreise trifft Netzwerktheorie

Irische Mathematiker versuchen sich im literarischen Fach. Sie haben Klassiker der Weltliteratur - von der "Illias" bis zu "Richard III" - netzwerktheoretisch unter die Lupe genommen. Das Ergebnis: Literarische Genres besitzen offenbar einen statistischen Fingerabdruck. [...]


In der Netzwerktheorie besteht die Welt aus Knoten und Kanten, man könnte auch sagen: Dingen und deren Verbindungen. Dabei ist es egal, ob es sich bei den Knoten um Moleküle oder Menschen handelt. Und es ist auch egal, ob die Verbindungen physischer Natur sind oder nicht.
Was zählt, ist die Statistik, also etwa: Wie stark neigt das Netzwerk zur Verklumpung? Wie groß ist die Distanz zweier beliebiger Knoten? Bilden die Knoten hierarchische Muster? Und spiegelt sich das Muster des Kleinen auch im Großen - wie es etwa bei der Gestalt von Flüssen und Wolken der Fall ist? [...]

Wer will, kann die vorliegende Analyse auch als statistisches Postskriptum zu einer Theorie von Joseph Campbell lesen. Der 1987 verstorbene US-amerikanische Mythenforscher ging davon aus, dass alle Mythologien das gleiche archetypische Grundmuster aufweisen. Abstrahiert man vom konkreten Inhalt der Geschichten, bleibt Campbell zufolge eine Heldenreise, nämlich der "Monomythos" übrig - die Realistik der Netzwerke könnte ein Beleg dafür sein.


Quelle: http://science.orf.at/stories/1702124